Mark Zuckerbergs Netzwerk ist ins Gerede gekommen. Justizminister Heiko Maas fordert, dass Ermittlungsbehörden und Gerichte hart “gegen die Verbreitung verleumderischer Falschnachrichten in sozialen Netzwerken vorgehen“. 2017 wollen Union und SPD sogar ein neues Gesetz auf den Weg bringen, obwohl Verleumdung, Beleidigung und Volksverhetzung jetzt schon unter Strafe stehen. Im Kampf gegen Falschberichte im Netz will Innenminister de Maizière eine „Abwehrzentrale gegen Desinformation“ schaffen, wie der Spiegel berichtete. Die Federführung solle das Bundespresseamt übernehmen.
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Überall, hat daraufhin festgestellt, dass doch nicht eine Behörde darüber entscheiden könne, „was wahr ist und was nicht“. Für die Berichterstattung pro und kontra seien die Medien zuständig. Es gebe „bereits Hunderte von Abwehrzentren gegen Desinformation“: „Das sind die Redaktionen von Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtenportalen und Rundfunksendern.“ Ähnlich sieht es Georg Altrogge, Chefredakteur von Meedia: „Als vierte Gewalt waren die Medien immer schon dafür zuständig, die Wahrheit zu berichten und Lügen als solche zu entlarven. Sie sollten auch und gerade 2017 so selbstbewusst sein, dass sie keine Hilfe aus der Politik nötig haben …”
Eine Schweizer Zeitung fragte kürzlich Alan Rusbridger, Chefredakteur des Guardian von 1995 bis 2015, ob soziale Medien Fluch oder Segen für den Journalismus seien. Rusbridgers klare Antwort:
“Zuerst einmal: da ist viel Hässliches, Rassistisches, Dummes und Hasserfülltes zu finden, das wissen wir alle. Davon abgesehen, sind soziale Medien aus meiner Sicht ein Segen. Ich lebe lieber in einer Gesellschaft, in der sich alle am öffentlichen Diskurs beteiligen können und nicht einige wenige Verleger oder Journalisten bestimmen, was die relevanten Themen sind. (…) Die heutige Zeit mag für Journalisten und Reporter komplizierter geworden sein, aber ich bin ziemlich optimistisch, dass sie für die Meinungsfreiheit positiv ist.”
Auf der britischen Insel, wo große Boulevardblätter die Fakten bekanntermaßen nicht immer wie rohe Eier behandeln, neigt man zur Gelassenheit. Drei empirisch recht gut gesicherte Fakten könnten nützlich sein, um die Aufregung in Deutschland ein wenig zu dämpfen:
- Das Internet insgesamt hat für die tagesaktuelle Information nur untergeordnete Bedeutung.
Das Internet als Ganzes hat für die deutschsprachige Bevölkerung nur eine nachgeordnete Bedeutung, wenn es um die Information über das tagesaktuelle Geschehen geht. Zu diesem Ergebnis kommen übereinstimmend die AWA und die Mediengewichtungsstudie der Landesmedienanstalten. Laut AWA 2016 informierten sich in der Stichtagsbefragung “gestern” 24 Prozent im Internet über das aktuelle Geschehen; der Anteil stieg in den letzten zwei Jahren um drei Punkte. Laut Mediengewichtungsstudie liegt der entsprechende Anteil bei 29 Prozent und stagnierte in den letzten zwei Jahren. Überragende Bedeutung für die Information über das Tagesgeschehen haben nach beiden Untersuchungen TV, Radio und Print.
Bei den Jungen sieht die Sache zwar anders aus als in der Gesamtbevölkerung. Doch die Jungen haben – heute wie zu allen Zeiten – ein paar sehr spezielle Interessen. Bei den meisten stehen Angelegenheiten der res publica nicht ganz oben auf der Agenda.
2. Die Leute glauben Nachrichten nicht blindlings. Sie unterscheiden Absender nach ihrer Glaubwürdigkeit.
Wenn es um die Glaubwürdigkeit geht, rangiert Social Media weit hinter klassischen Medien. Das zeigt eine neue Studie der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF. Die Befragten beurteilen in dieser Untersuchung die Glaubwürdigkeit von Medien auf einer Skala von +5 (sehr glaubwürdig) bis -5 (überhaupt nicht glaubwürdig). Dabei kommen Abo-Zeitungen, Nachrichtenmagazine und öffentlich-rechtliche Fernsehsender auf deutlich positive Werte (Grafik unten). “Soziale Medien wie Facebook und Twitter” bekommen dagegen die Durchschnittsnote -1,5. Offensichtlich glauben die meisten Menschen nicht jeden Humbug, der in sozialen Netzwerken zirkuliert und können satirische Witzchen von Wirklichkeit unterscheiden. Das gilt auch für die Jungen: 16- bis 29-Jährige bewerten Facebook und Twitter genauso wie die Gesamtbevölkerung, während sie den klassischen Medien sogar noch etwas mehr Glaubwürdigkeit beimessen. Wobei diese klassischen Medien ja im Internet und in den sozialen Medien sehr präsent sind. Das leitet über zum dritten Punkt.
3. Soweit die Leute Facebook & Co zur Information übers Tagesgeschehen überhaupt nutzen, halten sie sich primär an professionelle Beiträge.
„Längst publizieren im Netz viel mehr Laien als Profis. Und längst nutzen bestimmte Profis das Netz unter dem Deckmantel des Journalismus, um Ideologie, PR, Desinformation und Verschwörungsphantasien zu verbreiten“, schrieb Mathias Müller von Blumencron 2014 in der FAZ. Das ist heute so richtig wie es damals zutraf. Die entscheidende Frage lautet, wie viele Menschen darauf hereinfallen.
Darauf gibt die Mediengewichtungsstudie der Landesmedienanstalten eine interessante Antwort. Nicht nur, dass die Leute – wie oben gesehen – die Nachrichten nach der Glaubwürdigkeit ihrer Absender unterscheiden. Soweit sie den als relativ dubios eingestuften sozialen Medien tagesaktuelle Informationen überhaupt entnehmen, wenden sie sich hauptsächlich den Texten von journalistischen Profis zu. Mit anderen Worten: Sie bedienen sich einer klugen Filter-Strategie.
Laut Mediengewichtungsstudie nutzen täglich 20,3 Millionen (29 Prozent) das Netz zur Information. 7,75 Millionen (11 Prozent) von ihnen nutzen Facebook zu Informationszwecken. Von diesen wiederum informieren sich drei Viertel durch „professionelle Beiträge“ – also im Wesentlichen durch Infos, die Journalisten klassischer Medien erstellen (siehe Grafik). 46 Prozent greifen ausschließlich auf Beiträge von Profis zurück, weitere 29 Prozent nutzen daneben auch “user generated content”.
Nur 18 Prozent, entsprechend 1,40 Millionen, informieren sich bei Facebook allein durch nutzergenerierte Beiträge von Amateuren. Bei Twitter fällt die Dominanz der professionellen Beiträge noch stärker aus, bei YouTube nicht ganz so stark.
Man muss Facebook nicht mögen. Wie manche Internetnutzer vor zwanzig Jahren den „walled garden“ AOL nicht mochten, hegen heute manche eine Abneigung gegen den „walled garden“ Facebook. Sie schreiben lieber im eigenen Blog, wohl wissend, dass sie dort weniger Reichweite erzielen. Die sozialen Medien zwecks Reichweitensteigerung zu nutzen, ist selbstverständlich auch völlig in Ordnung. Es ist aber etwas verwirrend, wenn der geschätzte Stefan Plöchinger, der mit der Süddeutschen Zeitung mehr als 600.000 Page-Likes bei Facebook verzeichnet, mit Begriffsprägungen wie “asoziales Netzwerk” und “Fakebook” Pauschalurteile fällt, die aus Gründen der Logik auch den eigenen Journalismus treffen.