Im Vergleich zu fast 400 Millionen monatlichen Visits von Bild.de mutet die Wirtschafts- und Finanzpresse eher unscheinbar an. Insgesamt zehn Publikationen aus den Vermarktungs-Portfolios der PZ-Verlage bringen es zusammen auf gerade mal 73 Millionen Besuche im Monatsdurchschnitt 2017 (Tabelle unten). Doch es handelt es sich um eine elitäre Nutzerschaft, die über Investitionen von vielen Milliarden gebietet – als Entscheider in den Unternehmen und als private Anleger an den Börsen.
„Geldleute lesen genauer“, sagte Bertolt Brecht, „sie wissen, welcher Schaden aus flüchtiger Lektüre entstehen kann.“ Für die sorgfältige Lektüre von anspruchsvollen Texten, diffizilen Charts und langen Zahlenkolonnen bevorzugen die Nutzer der Wirtschafts- und Finanzseiten nach wie vor größere Bildschirme. Während Bild.de und andere Nachrichtenseiten inzwischen primär über Smartphones oder Tablets angesteuert werden, stellten mobile Visits zum Beispiel beim Handelsblatt im November nur 34 Prozent und bei Finanzen.net lediglich 29 Prozent.
Das Ranking der Wirtschaftspublikationen wird vom Handelsblatt angeführt. Es erscheint in Print fünfmal pro Woche und fühlt sich auch im Netz der Aktualität besonders verpflichtet. Dahinter rangieren mit einigem Abstand die digitalen Angebote des Manager Magazins. Den Vorsprung gegenüber der Düsseldorfer Wirtschaftswoche konnten die Hamburger zuletzt noch ausweiten. Die Websites bzw. Apps von Impulse, Capital und Harvard Business Manager sind klein, aber fein. Sie verzeichnen im Monatsdurchschnitt zusammengenommen rund eine Million Visits. Capital.de erzielt unter den zehn aufgeführten Angeboten die höchste Wachstumsrate gegenüber dem Vorjahr.
Bei den Finanzportalen fungiert Finanzen.net mit monatsdurchschnittlich 28,4 Millionen Visits als klarer Marktführer. Dahinter folgt Finanzen 100 mit 9,4 Millionen Besuchern. Als einziges der zehn Angebote wird es vor allem über mobile Geräte angesteuert. Boerse-online.de und Boerse.de sind kleinere Angebote nach Visits, aber nicht unbedingt nach Lesezeit und Engagement ihrer Nutzer.
Gegenüber dem Vorjahr verbuchten beide Segmente in der Summe 2017 weniger Besuche als im Vorjahr. Das liegt zum Teil daran, dass 2017 als ein Jahr ohne Schreckensnachrichten à la Brexit in die Wirtschaftsgeschichte eingeht. Aber auch die zunehmende Konkurrenz mag eine gewisse Rolle spielen.
Verschärfte Konkurrenz durch Banken und die ARD
Die Wirtschafts- und Finanzpublikationen der Verlage haben nämlich in der digitalen Welt mehr Konkurrenz denn je bekommen:
- Zum einen durch Banken und Direktbanken, die volkswirtschaftliche Prognosen, Branchenanalysen, Finanzinformationen und Kursabfragen für die Weltbörsen zur Verfügung stellen. Früher stellten sie das Material in gedruckter Form ihren Kunden zur Verfügung. Infolge der digitalen Vernetzung können sie heute gegenüber der Allgemeinheit mit ihrer Expertise werben – zu Grenzkosten, die praktisch bei Null liegen.
- Zum anderen durch die ARD, die mit boerse.ard.de ein umfangreiches finanzjournalistisches Angebot zur Verfügung stellt. Dieses Angebot richtet sich an die schmale wohlhabende Schicht der Aktionäre, wird aber aus Zwangsgebühren der breiten Masse finanziert. So macht die ARD nicht nur entgegen ihrem Auftrag der Finanzpresse im Netz Konkurrenz, sondern betreibt auch eine Umverteilung von unten nach oben.
“Sell in May and go away”?
Das Zeitprofil der Visits korrespondiert im Verlauf des Jahres 2017 tendenziell mit einer alten Börsen-Weisheit: „Sell in May and go away but remember to come back in November.“ Nach der Didvidendenausschüttung, die bei den meisten Gesellschaften Ende Mai abgeschlossen ist, soll der Aktionär gemäß dieser Regel unbeschwert die Sommermonate genießen, in denen die Kurse oft nachgeben. Aber im Herbst soll er rechtzeitig wieder einsteigen.
Im Jahr 2016 beanspruchte allerdings, wie schon erwähnt, ein besonderes Ereignis die Aufmerksamkeit der Aktionäre: die Brexit-Abstimmung vom 23. Juni jenes Jahres war ein unerwarteter Paukenschlag, der die Visit-Kurve der Wirtschafts- und Finanzangebote einen ganz und gar atypischen Verlauf nehmen ließ.